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Chancengleichheit in der Hochschulbildung – gerechter Zugang für alle?
Die Lebenschancen eines Menschen sind in einem hohen Maß durch den Bildungserfolg geprägt. Dieser wird zugleich stark von den sozialen Ausgangsbedingungen wie der familiären Herkunft beeinflusst und von einer Generation zu der nachfolgenden weitergegeben. Dieser Reproduktion im Bildungs- und Wirtschaftssystem kann durch aktive Maßnahmen begegnet werden, sodass dieser wichtige Kanal sozialer Mobilität niemandem aufgrund seiner Herkunft verwehrt bleibt.
"Jeder ist seines Glückes Schmied" - dieses Ideal der Meritokratie suggeriert, dass der Erfolg einer Person ausschließlich durch ihre eigenen Leistungen bestimmt werde und dass jede:r Einzelne die Möglichkeit habe, persönliche Fähigkeiten und Potenziale zu entwickeln. Ein ausgeprägtes Bildungsniveau und die sich daraus ergebenden Karrierechancen gelten als unerlässlich für den gewünschten sozialen Aufstieg. Doch die Vorstellung, dass alle Menschen dieselben Bildungs- und Mobilitätschancen haben, steht oft im starken Kontrast zur Realität.
Hochschulbildung in Deutschland
Im Studienjahr 2022/23, das sowohl das Sommer- als auch das Wintersemester umfasst, betrug der Anteil der Studierenden in Deutschland rund 2,9 Millionen. 473.000 Studierende begannen in diesem Jahr ihr erstes Semester. Daraus ergibt sich ein Anteil von 56,4% der jungen Erwachsenen des entsprechenden Geburtsjahres, welcher sich für ein Studium entschieden hat. Dabei lag der Anteil der Kinder, deren Eltern nicht studiert haben, im Jahr 2022 bei 47% unter den Studienanfänger:innen. Diese Gruppe wird auch als Nichtakademikerkinder bezeichnet. An Schulen ist der Anteil an Nichtakademikerkindern deutlich höher: knapp 75% der Kinder stammen aus Haushalten ohne jeglichen akademischen Bezug. Es besteht also eine deutliche Diskrepanz hinsichtlich des Verhältnisses von Akademikerkindern zu Nichtakademikerkindern zwischen der Grundschule und dem Studienbeginn. Es zeichnet sich ab, dass der Anteil an Nichtakademikerkindern mit zunehmendem Bildungsgrad abnimmt.
Um diese Diskrepanz bei gleicher formaler Qualifikation genauer zu verdeutlichen: Von 100 Schüler:innen aus Nichtakademikerhaushalten beginnen nur 27 ein Hochschulstudium. Von diesen absolvieren 20 Student:innen den Bachelorabschluss. Nur 11 von ihnen setzen ihr Studium mit einem Master fort, und am Ende erwerben nur 2 von 100 Nichtakademikerkindern einen Doktortitel. Im Vergleich dazu beginnen 79 von 100 Schüler:innen aus Akademikerhaushalten ein Bachelorstudium, von denen 64 den Abschluss erreichen. 43 dieser Student:innen schließen daran ihren Master ab, und 6 von 100 Kindern aus Akademikerhaushalten erlangen letztendlich einen Doktortitel.
Vier Hürden zum Bildungserfolg
Besonders relevant für den Bildungserfolg einer Person sind die Bildungsschwellen beim Übergang in die gymnasiale Oberstufe und zur Hochschulbildung. An beiden Stellen halbieren sich etwa die Zahlen der Nichtakademikerkinder. Im Gegensatz dazu erreichen 4 von 5 Schüler:innen aus Akademikerhaushalten nicht nur die gymnasiale Oberstufe, sondern beginnen ebenso ein Hochschulstudium.
1 Mentale Barrieren
Die Vorstellung eines Studiums und der damit verbundenen Herausforderungen kann für Nichtakademikerkinder oft bedrohlich wirken, vor allem aufgrund fehlender Erwartungswerte und Rollenvorbildern im engsten persönlichen Umfeld.
2 Kompetenznachteile
Kinder aus Nichtakademikerhaushalten wachsen häufiger in wenig lernstimulierten Umgebungen auf, welche sich beispielsweise durch einen Mangel an Büchern und fehlende Museumsbesuche auszeichnen.
Zudem können die Eltern seltener beim Lernen unterstützen oder Nachhilfe ermöglichen. Oftmals fehlt es an eigenen Plätzen, an denen Schulaufgaben erledigt werden können. Auch an einer digitalen Infrastruktur, wie der Zugang zu Computern, mangelt es häufig, sodass in vielen Fällen Lernlücken entstehen.
3 Informationsdefizite
Geringere Erfahrung und fehlende Information aus dem elterlichen und sozialen Umfeld über Studienformate, -fächer und -inhalte stellen in vielen Fällen eine Herausforderung dar. Dies kann zu einem grundlegend geringeren Interesse am Studium oder zu einer überfordernden Konfrontation mit der Fülle an externen Informationsangeboten führen.
4 Finanzierung
Finanzielle Sorgen, bedingt durch fehlende elterliche Unterstützung aufgrund der Einkommensschwäche des Haushalts oder einer mangelnden Bereitschaft zur Studienfinanzierung, erschweren den Zugang zur Hochschulbildung. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten wie BAföG, Studienkredite oder Stipendien reichen nicht immer aus und können weitere bürokratische Hürden bei der Beantragung darstellen.
Chancenungleichheiten abbauen
Um Chancenungleichheiten im Bildungsbereich nachhaltig abzubauen und Themen wie Diversität und Inklusion voranzutreiben, bedarf es neben bildungspolitischen und gesellschaftlichen Maßnahmen auch unternehmerisches Engagement.
Unternehmen können durch die Förderung von Mentoring-Programmen an Universitäten und ausgeprägten Praktikums- und Weiterbildungsangeboten eine Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft schlagen. Durch Informationsveranstaltungen zu Berufseinstiegsmöglichkeiten können Schüler:innen nicht nur einen Überblick über Bildungsformate erhalten, sondern gleichzeitig wichtige Kontakte für ihre Zukunft knüpfen.
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Finanzierung und Förderung von Stipendien insbesondere für diese Zielgruppe. Das Deutschlandstipendium fördert beispielsweise Studienanfänger:innen durch eine monatliche finanzielle Unterstützung von 300€, welche zur Hälfte vom Bund und zur anderen Hälfte von privaten Stiftern gefördert wird. Dadurch werden Studierenden unabhängig ihrer sozialen Herkunft und dem Standort ihrer Hochschule Bildungschancen ermöglicht.
Da Erstakademiker:innen möglicherweise unkonventionelle Lebensläufe aufweisen oder kaum Praxiserfahrungen haben, sollten Interviewer:innen diese Kandidaten und Kandidatinnen nicht durch eine vorschnelle Bewertung und Wahrnehmungsverzerrungen aus dem Bewerbungsprozess ausschließen. Erstakademiker:innen für Personalabteilungen zu rekrutieren, kann für das gegenseitige Verständnis in Interviews sinnvoll sein.
Mögliche Maßnahmen sind vielfältig: So lässt sich beispielsweise durch die Implementierung von individuellen Karriereprogrammen oder durch die gezielte Förderung insbesondere durch Mentoring sowie durch Bewerbungstrainings die Lücke zwischen Akademikerkindern und Nichtakademikerkindern verringern.
Unternehmen können sich damit in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels eine bislang „übersehene“ Zielgruppe erschließen.
Mit der gezielten Förderung von Nachwuchs aus Nichtakademiker-Familien bietet sich Unternehmen somit eine Möglichkeit, die eigene Wettbewerbsfähigkeit als Arbeitgeber zu verbessern und gleichzeitig einen Beitrag zu einer vielfältigeren und gerechteren Gesellschaft zu leisten.
QUELLEN
Arbeiterkind.de. Warum Studieren? Im Internet unter:
https://www.arbeiterkind.de/als-erste-studieren/warum-studieren.
Becker, Rolf (2017). Lehrbuch der Bildungssoziologie. 3. Ausgabe. Wiesbaden: Springer VS.
Bildungsministerium für Bildung und Forschung (2018). Die größte Chance für Unternehmen ist die Investition in Bildung. Im Internet unter: https://www.deutschlandstipendium.de/deutschlandstipendium/de/foerdernde/aus-der-praxis/die-groesste-chance-fuer-jedes-ist-die-investition-in-bildung/die-groesste-chance-fuer-jedes-ist-die-investition-in-bildung_node.html
Bpb (2015).: Bildungsaufstieg – (K)eine Frage von Leistung allgemein?
https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/205371/bildungsaufstieg-k-eine-frage-von-leistung-allein/
Linklaters. Diversity, Equity and Inclusion. Im Internet unter: https://linklaters.de/de-de/ueber-uns/diversity-equity-inclusion.
Spieß, C. Katharina/ Zambre, Vaishali/ Anger, Christina/ Plünnecke, Axel/ Anger, Silke/ Kruppe, Thomas/ Pfeiffer, Friedhelm/ Schömann, Klaus (2016). Bildungsinvestitionen – wirksames Heilmittel gegen soziale Ungleichheit? In: Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. Im Internet unter: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2016/heft/7/beitrag/bildungsinvestitionen-wirksames-heilmittel-gegen-soziale-ungleichheit.html.
Statista (2023): Politik und Gesellschaft – Studierende in Deutschland.:
Stifterverband – Bildung. Wissenschaft. Innovation (2022). Hochschul-Bildungs-Report 2020, Abschlussbericht.
Ullrich, Sebastian/ Schalück Marc/ Sander, Thilo/ Wieland, Jennifer/ Boston Consulting Group (Hrsg) (2023). Das schlummernde Potenzial der „First Generation Professionals“. Herausforderungen von FirstGen-Professionals und Wege, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Boston Consulting Group