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Einkaufslisten, Termine und Essensplanung – warum organisieren das meistens Frauen? Ein analytischer Blick auf Mental Load
von redaktion
Diese Frage stellt sich die US-amerikanische Soziologin Allison Daminger in ihrem neuen Buch „What’s on her mind: The Mental Workload of Family Life“.1 Die Autorin nimmt sich einem Thema an, das viele Paare im Alltag betrifft, aber selten offen diskutiert wird: kognitive Arbeit, besser bekannt als Mental Load.
Die Tatsache, dass vor allem Frauen diese unsichtbare, aber potenziell belastende kognitive Arbeit übernehmen, ist keine grundlegend neue Erkenntnis. Um die Mechanismen hinter Mental Load zu analysieren, hat Daminger über einen Zeitraum von acht Jahren 94 Interviews mit hetero- und homosexuellen US-amerikanischen Paaren durchgeführt. Die Ergebnisse legen nahe, dass sich eine „weibliche“ Domäne entwickelt hat. Beziehungsarbeit, Zeitmanagement, Einkaufen, Putzen, Wäsche waschen sowie Kinderbetreuung als auch das permanente „Monitoring“ dieser Aufgaben fallen in den kognitiven Arbeitsbereich der Frauen.
Gerade das „Monitoring“ ist als belastender dauerhafter „background job“ in den Köpfen der Frauen. Ein Beispiel: Während Frauen seltener technische Reparaturen übernehmen, sind es dennoch sie, die ihre Partner daran erinnern, dass überhaupt etwas repariert werden muss.
Insgesamt ergibt sich ein klares Bild: 75 Prozent der befragten Paare sind „frauengeführt“, d.h. Frauen tragen den deutlich größeren Teil der kognitiven Last. In homosexuellen Paaren zeigt sich ebenfalls ein Ungleichgewicht kognitiver Arbeitslast. Der Unterschied zu heterosexuellen Paaren liegt darin, dass homosexuelle Paare ihre kognitive Arbeit nach Effizienz und Talent aufteilen und damit losgelöst von Geschlecht verhandeln.
Aber warum haben Frauen einen höheren Mental Load?
Daminger identifiziert zwei zentrale Narrative, die Frauen in diese Rolle drängen: die geschlechtsspezifische Sozialisation und der persönliche Essentialismus.
„Structural and cultural forces“, so die Autorin, sorgen dafür, dass Mädchen und Frauen schon früh lernen, Hausarbeit und Organisation als ihre „geschlechtstypische“ Aufgaben zu begreifen. “Cognitive labor leaders are largely made”, heißt es im Buch. In Paarbeziehungen zeigt sich diese Dynamik dann in Aussagen wie „She’s just way more organized“ und „He’s more of a go-with-the-flow guy”. Weiblichkeit wird mit Effizienz und Organisation verbunden, Männlichkeit mit weniger Struktur und Entspanntheit. So entsteht ein Teufelskreis: Wer schon früh lernt, für Ordnung zu sorgen, übernimmt diese Rolle wahrscheinlicher später in der Partnerschaft – und gibt sie häufig an die eigenen Kinder weiter. Oder wie Daminger es treffend formuliert: „One gets good at cognitive labor by, well, doing cognitive labor”.
Um dieses Strukturen greifbar zu machen, arbeitet Daminger zwei Archetypen heraus, die sich ungleich auf die Geschlechter verteilen:
1. Den „Superhuman“: Meistens Frauen, die den Überblick behalten, organisieren und ergo die größte mentale Last tragen
2. Den „Bumbler“: Oft Männer, die sich eher zurücklehnen und passiv sind
Dieses Muster findet sich auch im Narrativ des „persönlichen Essentialismus“ wieder. Dahinter steckt laut Daminger die Tendenz, Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht als Ergebnis internalisierter und sozialisierter Geschlechterrollen, sondern als persönliche Eigenschaften zu erklären. So heißt es etwa von Frauen “I am who I am”, oder von Männern: “My brain just naturally rejects . . . non-essential information.”
Dieser persönliche Essentialismus erfüllt dabei zwei Funktionen: Zum einen verhindert er Streit, es gibt ja scheinbare „gute Gründe“ für die ungleiche Arbeitsteilung. Zum anderen stabilisiert er so bestehende Ungleichheiten, während gleichzeitig das Bild einer egalitären Partnerschaft aufrechterhalten wird. Ein Beispiel: Frauen gelten durch internalisierte Geschlechterrollen als „von Natur aus fürsorglicher“ und übernehmen deshalb ganz selbstverständlich die Kinderbetreuung. In Wahrheit handelt es sich dabei nicht um eine angeborene Eigenschaft, sondern um gesellschaftlich geprägte Erwartungen. Auf diese Weise werden geschlechtsspezifische Ungleichheiten nicht nur unsichtbar, sondern auch legitimiert. Für Daminger ist klar: der persönliche Essentialismus ist nicht nur eine Ausrede, er ist Komplize, der Ungleichheiten verschleiert und zeitgleich zementiert.
Was ist also zu tun, um geschlechtsspezifische Ungleichheiten sichtbar zu machen und Mental Load zu reduzieren?
Die Antwort von Daminger verblüfft. Sie plädiert nicht für einen 50/50-Aufteilung, sondern für einen bewussten und reflektierten Umgang von kognitiver Arbeit innerhalb der Paarbeziehung. Zentrales Ziel dabei ist, Geschlecht nicht mehr als Prädiktor und Rechtfertigungsmuster für Aufgaben und Denkweisen heranzuziehen.
Dafür braucht es drei Strategien:
1. Anerkennung und Sichtbarmachung: Unsichtbare Arbeit muss benannt und wertgeschätzt werden, bevor sie verändert werden kann. Hilfreich dafür sind etwa Mental-Load-Tests, die auf Basis von Selbsteinschätzungen die Belastung durch Mental Load messen.2
2. Kultureller Wandel: Stereotype Vorstellungen von „weiblich“ und „männlich“ müssen transformiert werden.
3. Reduktion der kognitiven Belastung insgesamt: Es geht nicht nur um eine gerechtere Verteilung kognitiver Aufgaben, sondern auch um weniger mentale Belastung insgesamt.
Um das zu erreichen, identifiziert Daminger drei Ebenen:
1. Die institutionelle Ebene: Etwa politische Maßnahmen, die Eltern und Familien in ihrer kognitiven Arbeitsbelastung entlasten. Die Autorin nennt an dieser Stelle etwa Maßnahmen, die insgesamt ökonomische Ungleichheiten verringern, Arbeitnehmer:innen unterstützen und damit eine direkte Unterstützungsfunktion für Familien leisten.
2. Die organisationale Ebene: Arbeitgeber:innen müssen Strukturen schaffen, die kognitive Arbeit sichtbar machen und verhindern, dass diese zur Karrierebremse werden. Daneben appelliert Daminger, dass Kinderbetreuungseinrichtungen mit Erwerbsstrukturen verzahnt werden müssen, um Erwerbs- und Familienleben einfacher zu vereinen.
3. Die individuelle Ebene: Paare müssen Ungleichheiten (an-)erkennen und offen verhandeln, wie sie ihre kognitive Arbeit gerechter gestalten können.
Daminger zeigt eindrücklich, wie unsichtbar und gleichzeitig prägend kognitive Arbeit unseren Alltag – und vor allem den Alltag von Frauen - strukturiert und belasten kann. Die Autorin macht klar: es geht nicht darum pedantisch auf eine 50/50 Aufteilung abzuzielen, sondern um Bewusstsein, Anerkennung und Veränderung auf allen Ebenen. Oder, um mit Allison Damingers Worten abzuschließen: “None of this change - political, organizational, or personal - will be easy. But if we are serious about creating a world in which one’s gender is a poor predictor of both mind-use and time-use, it’s work worth doing.”
QUELLEN:
1Daminger, A. (2025): Whats on her mind. The Mental Workload of Family Life. Princeton & Oxford: Princeton University Press.
2Zum Beispiel der Mental Load-Test von klischee*esc e.V. mental-load-home-de.pdf