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Rolle rückwärts durch Corona - Oder neue Chance für Gender Equality
COVID-19 veränderte das Leben von einem Tag auf den anderen grundlegend. Was im Januar 2020 noch selbstverständlich war im März 2020 schon undenkbar. Binnen weniger Tage mussten sich Arbeitnehmer:innen und -geber:innen einer nie dagewesenen Herausforderung stellen und dabei Arbeits- und Privatleben grundlegend neu strukturieren.
Grundlegende Veränderungen bieten stets die Chance eines positiven Wandels, Krisen können auch Neuanfang sein. Dinge, die zuvor unmöglich schienen, werden plötzlich möglich.
Ist dies nur eine vage Hoffnung oder tatsächlich Realität? Während positive Bilanzen über weniger Inlandsflüge und lange Arbeitswege gezogen werden können (Müller, 2021), sieht es an anderen Stellen durchaus kritischer aus. So auch in puncto Gender Equality. Wo die letzten Jahre Aufbruchsstimmung herrschte und neue Wege beschritten wurden, ist die Pandemie ein Bremsklotz für diese Entwicklung, an manchen Stellen sogar das Ticket zurück zu mehr Ungleichheit, so auch die renommierte Soziologin Jutta Allmendinger in ihrem jüngsten Buch "Es geht nur gemeinsam!".
Regressiver Effekt auf die Gleichstellung der Geschlechter
Nach Berechnungen von McKinsey & Company (2020) sind die Arbeitsplätze von Frauen 1,8-mal stärker von der Krise betroffen als die von Männern. Obwohl Frauen 39 Prozent der weltweiten Beschäftigung ausmachen, sind sie von 54 Prozent der gesamten Arbeitsplatzverluste betroffen. Grund dafür ist, dass das Virus die Belastung durch unbezahlte Betreuungsarbeit, die überproportional von Frauen getragen wird, deutlich erhöht. Während der Lockdowns verbrachten Frauen im Durchschnitt 62 Stunden pro Woche mit der Betreuung von Kindern, Männer nur 36 Stunden und Frauen 23 Stunden pro Woche mit Hausarbeit, gegenüber 15 Stunden bei Männern (European Commission, 2021).
Auch ist die Art der Arbeit noch immer zu großen Teilen geschlechtsspezifisch. Frauen und Männer sind in unterschiedlichen Berufen zu finden, was die Auswirkungen der Pandemie beeinflusst: Die Analyse von McKinsey & Company (2020) zeigt, dass von Frauen belegte Arbeitsplätze um 19 Prozent stärker gefährdet sind als die von Männern, schlicht weil Frauen in den von der COVID-19-Pandemie negativ betroffenen Sektoren überproportional vertreten sind (Groß- und Einzelhandel, Hotelbranche, Gastronomie).
Darüber hinaus sind Frauen insbesondere in einem Sektor einer erhöhten Belastung ausgesetzt: 76% der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen und 86 % der Beschäftigten in der Pflege sind Frauen. Im Zuge der Pandemie sehen sie sich - neben der Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie - mit einer noch nie dagewesenen Zunahme der Arbeitsbelastung und zusätzlichem Gesundheitsrisiko konfrontiert (European Commission, 2021).
Mehr Hausarbeit, weniger Führungs- und Entscheidungsgewalt
2020 verließen mehr Frauen ihre Führungsposition als jemals zuvor. Deutschland ist dabei das einzige Land mit sinkendem Frauenanteil in DAX-Unternehmensvorständen. Der Frauenanteil in den 30 größten davon sank um 1,9%.
Nicht nur die Wirtschaft, auch die Coronapolitik selbst zeichnet ein trauriges Bild über die Mitbeteiligung von Frauen in Entscheidungsprozessen weltweit. Von 115 nationalen COVID-19-Taskforces in 87 Ländern, darunter 17 EU-Mitgliedstaaten, setzten sich 85,2 % überwiegend aus Männern zusammen, nur 11,4% überwiegend aus Frauen zusammen, nur bei 3,5 % waren die Geschlechter gleichverteilt.
Gender Inequality kostet - Frauen als Zukunftsträger
Die aufgeführten Tendenzen sind nicht nur ein herber Schlag für Frauen und die Gleichberechtigungsentwicklung, sie können auch wirtschaftlich massiven Schaden anrichten. In einem geschlechtsregressiven Szenario, in dem keine Maßnahmen zur Bekämpfung der durch die Pandemie ausgelösten Effekte ergriffen werden, könnte das globale BIP-Wachstum im Jahr 2030 um 1 Billion Dollar niedriger ausfallen, als wenn die Arbeitslosigkeit von Frauen der von Männern in jedem Sektor entsprechen würde. Diese Zahlen würden noch größer ausfallen, wenn Betreuungslasten, ein langsamerer Aufschwung oder geringere öffentliche und private Ausgaben für Bildung oder Kinderbetreuung Frauen dazu bringen, den Arbeitsmarkt dauerhaft zu verlassen. Würden wiederum Maßnahmen ergriffen werden, um die Gleichstellung voranzutreiben, könnte das globale BIP im Vergleich zum geschlechtsregressiven Szenario 2030 um 13 Billionen Dollar steigen. Ein Mittelweg, bspw. Maßnahmen erst nach Abklingen der Krise und nicht jetzt zu starten, würde die potenzielle Chance um mehr als 5 Billionen Dollar verringern (McKinsey & Company, 2020). Diese Szenarien zeigen, wie wichtig es ist, auch zu diesen Zeiten das Thema Gleichberechtigung nicht aus den Augen zu verlieren.
Der Silberstreif am Horizont
Nichtsdestotrotz bringt Corona auch kleine Erfolge hervor. So berichteten im Rahmen einer Studie der Hans Böckler Stiftung (2021) zwölf Prozent der Befragten, Corona hätte in ihrem Haushalt zu einer ausgeglicheneren Verteilung der Kinderbetreuung geführt. Bei weiteren knapp fünf Prozent wäre es zu einer „umgekehrten Traditionalisierung“ gekommen, bei der vor allem der Mann sich um die Kinder kümmert.
Dennoch: Es gibt noch viel zu tun. Damit diese Krise zur Chance wird, gilt es nicht nur in Politik und Gesellschaft, sondern auch an den Unternehmensstrukturen anzusetzen. Für gleiche Chancen, für die Berücksichtigung aller Perspektiven und aller Potenziale - unabhängig vom Geschlecht.
Quellen
https://www.spiegel.de/wirtschaft/flugreisen-weniger-menschen-nutzen-inlandsfluege-a-6fedabbf-63c9-45b0-83cf-5aac3e02d150
https://www.mckinsey.com/featured-insights/future-of-work/covid-19-and-gender-equality-countering-the-regressive-effects
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_21_1011
https://static1.squarespace.com/static/5c7e8528f4755a0bedc3f8f1/t/5f7cb22f2f46821aa896e185/1602007640517/AllBrightBericht_Herbst+2020.pdf
https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-corona-und-gleichstellung-31078.htm