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Sie hat die Wahl: sympathisch, aber inkompetent oder kompetent, aber unsympathisch?

von redaktion

Die letzte Bundestagswahl liegt bereits mehr als ein Jahr zurück. Sie erinnern sich sicher an das ausgestrahlte TV-Triell zwischen Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Ein Umfrageergebnis nach diesem TV-Ereignis zeigt ein Dilemma auf, mit dem Frauen in der Berufswelt regelmäßig konfrontiert sind – eine Zwickmühle zwischen der Wahrnehmung als kompetent oder als sympathisch. Im Anschluss an das Triell wurden die Zuschauenden befragt, welche/n der Kandidierenden sie als überzeugend, kompetent, sympathisch, tatkräftig und glaubwürdig wahrgenommen haben. Das Publikum empfand die Kanzlerkandidatin der Grünen zwar als am wenigsten kompetent, aber dafür als am sympathischsten. Für dieses Ergebnis gibt es sicherlich eine Vielzahl von Gründen, doch es ist ein weiteres Beispiel für ein Phänomen, das die sozialwissenschaftliche Forschung seit Jahren zeigt: Frauen sind mit besonderen, restriktiven Bedingungen konfrontiert, wenn sie versuchen, in traditionell männlich geprägten Bereichen erfolgreich zu sein.

Verschiedene Modelle postulieren, dass die Charaktereigenschaften, die man Personen zuschreiben kann, auf wenige entscheidende Dimensionen reduzierbar sind. Das Stereotype Content Model (SCM; Fiske et al., 2002) schlägt Kompetenz und Wärme als die beiden grundlegenden Dimensionen vor, anhand derer sich Menschen wahrnehmen und gegenseitig beurteilen. Dabei bezieht sich Wärme auf die wahrgenommene Intention, die eine Person hat (gut vs. schlecht) und umfasst unter anderem Attribute wie Vertrauenswürdigkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Aufrichtigkeit. Die wahrgenommene Kompetenz betrifft die Frage, ob diese Person die Fähigkeiten besitzt, diese Intention auch umzusetzen und umfasst daher unter anderem Eigenschaften wie Intelligenz, Wissen, Selbstbewusstsein und Wirksamkeit (Cuddy et al., 2008; Fiske et al., 2002). Beide Qualitäten sind für den Erfolg unerlässlich. Doch die Inkongruenz von normativen Frauenrollen (warmherzig, fürsorglich) und Eigenschaften, die für beruflichen Erfolg unabdingbar sind (Unabhängigkeit, Durchsetzungsvermögen) bedeutet, dass Frauen entweder als sympathisch, aber inkompetent, oder als kompetent, aber unsympathisch wahrgenommen werden.

Eigenschaften wie Unabhängigkeit, Durchsetzungsvermögen, Selbstvertrauen und Macht entsprechen dem männlichen Stereotyp, während Eigenschaften wie Wärme, Gemeinschaftssinn, Fürsorge und Hilfsbereitschaft dem weiblichen Stereotyp entsprechen.  Eine selbstbewusste, starke Frau, deren Eigenschaften und Verhalten gegen die Erwartungen verstößt, die durch den weiblichen Kernstereotyp geschaffen wurden, bedroht gesellschaftliche Konventionen darüber, wie sich Frauen zu verhalten haben. Dies kann zu einer Abwehrhaltung und Gegenreaktionen führen.

Diese Behauptung geht einher mit dem Befund von Rudman und Glick (2001), dass Stellenbewerber*innen, die gegen soziale Stereotypen verstoßen, tendenziell negativ wahrgenommen werden: Agentische Frauen werden als kompetent, aber kalt wahrgenommen, während kommunale Männer als warmherzig, aber inkompetent wahrgenommen werden. Dieses Phänomen wird in der Sozialpsychologie auch als Backlash-Effekt bezeichnet.
Diese Problematik zeigt sich insbesondere in traditionell männlich geprägten Bereichen, wie der Politik oder dem gehobenen Management. Trotz organisatorischer Vorteile der Frauenförderung, wie z. B. eine höhere Eigenkapitalrendite sowie eine größere Vielfalt, die Kreativität und Problemlösung fördern kann, sind Frauen im oberen Management noch immer unterrepräsentiert und erhalten in der Regel eine geringere Vergütung.

Viele Organisationen verkörpern eine "geschlechtsspezifische" Arbeitsumgebung. Sie schätzen Eigenschaften und Werte wie Rationalität, Aggression und emotionale Stabilität und spiegeln eben diese auch wider. Da diese Eigenschaften für den Erfolg am Arbeitsplatz wichtig sind und stereotypisch eher mit Männern als mit Frauen assoziiert werden, kann es für Frauen das Vorankommen am Arbeitsplatz erschweren.

Gender-Theorien argumentieren, dass ein wichtiger Beitrag zu dieser wirtschaftlichen Ungleichheit der soziale Zwang ist, der sich aus der Unvereinbarkeit zwischen dem „femininen“ Stereotyp und den „maskulinen“ Erwartungen der Geschäftswelt ergibt. Die Werte und Verhaltensweisen, die von effektiven Managern erwartet werden, hängen stark mit „männlichen“ Eigenschaften wie Unabhängigkeit, Durchsetzungsvermögen, Selbstvertrauen und Macht zusammen und sind unvereinbar mit „weiblichen“ Eigenschaften wie Gemeinschaftssinn, Fürsorge und Hilfsbereitschaft.

Ein solcher Trade-off zeigt sich auch bei arbeitenden Müttern. Eine empirische Untersuchung von Morgenroth und Heilman (2017) zeigt, dass es Frauen bei der Entscheidung bzgl. Elternzeit nicht richtig machen können. Arbeitende Mütter müssen sowohl familiäre als auch berufliche Verantwortung ausbalancieren und befinden sich hinsichtlich der Erwartungen an ihre berufliche Leistung und an ihre Rolle als Mutter ebenfalls in einer Zwickmühle. Das Ergebnis der Studie zeigt, dass sowohl die Entscheidung einer Frau, Elternzeit zu nehmen als auch die Entscheidung diese nicht zu nehmen, zu negativen Konsequenzen führt – allerdings auf verschiedenen Dimensionen. Eine Frau, die sich für die Elternzeit entschied, wurde als signifikant weniger kompetent wahrgenommen als die Frau, die keine Elternzeit nahm. Umgekehrt wurde die Frau, die keine Elternzeit nahm, als schlechtere Mutter und weniger wünschenswerte Partnerin beurteilt. Auch diese Effekte lassen sich auf die Inkongruenz und zwischen der normativen Frauenrolle der fürsorglichen Mutter und der gesellschaftlichen Erwartung an eine erfolgreiche und kompetente Karrieristin zurückführen. Es scheint eine durch Stereotype geprägte vermeintliche Inkompatibilität zwischen diesen beiden Rollen zu bestehen.

Wie Frau es macht, macht sie es falsch?

Nicht unbedingt. Es gibt einige Ansätze, die den Backlash-Effekt im Führungskontext verringern können. Einer Studie von Williams und Tiedens (2016) zufolge ist es insbesondere die gezeigte Dominanz, die die Bewertung der Sympathie und Wärme einer Frau beeinträchtigt. Kompetenz und Selbstbewusstsein seien Eigenschaften, die inzwischen auch bei Frauen akzeptiert werden. Das Zeigen dieser habe nicht automatisch negative Konsequenzen zur Folge. Diese treten dann auf, wenn Frauen direkte und offensichtliche Formen von Dominanz zeigen (z.B. Erteilen von Befehlen oder Anordnungen), nicht aber bei indirekten Formen wie direktem Blickkontakt. Zusätzlich kann es vorteilhaft sein, neben den stereotypisch männlichen Führungsqualitäten auch typisch weibliche Qualitäten (z.B. verständnisvoll und empathisch sein) zu zeigen. Eine Studie von Heilman und Okimoto (2007) zeigte, dass Frauen dann sowohl als genauso kompetent als auch als ebenso sympathisch wahrgenommen werden wie ihre männlichen Kollegen.

Ist es nun Aufgabe der Frau, eine Lösung für die Zwickmühle, in der sie sich befindet, zu finden? Die Verantwortung zur Auflösung traditioneller Denkmuster und Strukturen liegt im geschäftlichen Kontext klar beim Unternehmen. Aktive Diversity Maßnahmen, das Vorleben einer inklusiven Unternehmenskultur und das Anbieten von Unterstützung wie zum Beispiel in der Kinderbetreuung können hier wirken. Diversity und Inclusion müssen auf allen Ebenen etabliert werden, um eine Veränderung der vorherrschenden Normen anzustoßen. Damit diese auch nachhaltig ist, braucht es die Unterstützung des Top Managements.

Mut macht außerdem die positive Entwicklung, dass zunehmend weibliche Führungskräfte ihren Weg an die Spitze finden sowie die steigende Sichtbarkeit weiblicher Führungskräfte. Die Untersuchung von Dasgupta & Asgari (2004) legt nahe, dass die Wahrnehmung weiblicher Führungskräfte Auswirkungen auf das Hegen von automatischen stereotypischen Bewertungen und Annahmen, sogenannten Unconscious Bias, hat. Die Autor*innen fanden heraus, dass Frauen, die in ihren sozialen Kontexten weiblichen Führungskräften begegnen, tendenziell weniger Unconscious Bias gegenüber ihrer Ingroup zum Ausdruck brachten. Ein Umfeld, das uns regelmäßig mit weiblichen Führungskräften und somit kontrastereotypen Frauen konfrontiert, könnte demnach zur Reduzierung der automatischen gender-stereotypen Bewertung dieser führen.

Dieser Befund lässt hoffen: Die sich zunehmend verändernden Rollenbilder und Stereotype könnten dazu führen, dass die Grenzen zwischen Kompetenz und Wärme sowie Sympathie und Handlungsfähigkeit allmählich aufweichen. Dies würde es Frauen in beruflichen Kontexten ermöglichen, anhand ihrer Eigenschaften, Verhaltensweisen und Werte beurteilt zu werden – ohne dass ihr Geschlecht diese Bewertung beeinflusst, sodass aus dem „entweder oder“ ein „und“ wird.

Quellen

Rudman, L. A., & Glick, P. (2001). Prescriptive gender stereotypes and backlash toward agentic women. Journal of social issues, 57(4), 743-762. https://doi.org/10.1111/0022-4537.00239

Heilman, M. E., & Okimoto, T. G. (2007). Why are women penalized for success at male tasks?: the implied communality deficit. Journal of applied psychology, 92(1), 81. https://psycnet.apa.org/doi/10.1037/0021-9010.92.1.81

Cuddy, A. J., Fiske, S. T., & Glick, P. (2008). Warmth and competence as universal dimensions of social perception: The stereotype content model and the BIAS map. Advances in experimental social psychology, 40, 61-149. https://doi.org/10.1016/S0065-2601(07)00002-0

Fiske, S. T., Cuddy, A. J., Glick, P., & Xu, J. (2002). A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. Journal of Personality and Social Psychology, 82(6), 878-902. https://doi/10.1037/0022-3514.82.6.878

Williams, M. J., & Tiedens, L. Z. (2016). The subtle suspension of backlash: A meta-analysis of penalties for women’s implicit and explicit dominance behavior. Psychological Bulletin, 142(2), 165. https://psycnet.apa.org/doi/10.1037/bul0000039

Morgenroth, T., & Heilman, M. E. (2017). Should I stay or should I go? Implications of maternity leave choice for perceptions of working mothers. Journal of Experimental Social Psychology, 72, 53-56. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2017.04.008

Dasgupta, N., & Asgari, S. (2004). Seeing is believing: Exposure to counterstereotypic women leaders and its effect on the malleability of automatic gender stereotyping. Journal of experimental social psychology, 40(5), 642-658. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2004.02.003

https://www.n-tv.de/politik/Wenn-Frauen-um-Fuehrungsposten-kaempfen-article22808836.html

https://de.in-mind.org/article/der-frauen-leid-der-maenner-freud-geschlechtsstereotype-im-fuehrungskontext